Bericht vom Vätternrund – Radfahren im Herzen Schwedens
von Helke Wannewitz
Am 10. Juni machten sich Gunter Gruber und ich auf eine Reise nach Mittelschweden, um den dort befindlichen größten See Skandinaviens im Rahmen der legendären Vätternrundfahrt auf dem Rennrad zu umrunden.
Mit dem Reisebus samt Spezial-Radanhänger ging es mit etwa 40 Gleichgesinnten und einem Reiseleiter von Schulz-Sportreisen Dresden zunächst bis Rostock, wo unsere Fähre um 23.00 Uhr Richtung Trelleborg ablegte. Nach einem “Schlaf”-Abenteuer auf drei zusammengestellten Stühlen erreichten wir gegen 6.00 Uhr morgens schwedisches Festland. Nach ca. 4 Stunden Fahrt durch gerade in dieser Jahreszeit sattgrüne schwedische Landschaften bekamen wir bei Jonköpping erstmals das Ziel der Begierde, den Vätternsee, zu sehen und damit einen Eindruck von seiner Größe und der Dimension unseres Vorhabens. In Vadstena, einem malerischen kleinen Städtchen direkt am See gelegen, hatten wir Gelegenheit, das dortige Wasserschloss, die hübschen Gebäude in der Ortsmitte und das berühmte Kloster St. Brigida zu besichtigen. Dort wurden wir auch Zeuge eines hübschen Brauchs, bei dem die Schulabsolventen nach dem Gottesdienst vor der historischen Klosterkirche bunt geschmückte Anhänger bestiegen, um danach singend und grölend von Traktoren durch den Ort gezogen zu werden.
In unserem Quartier, einem kleinen Sporthotel (mit Schwimmhalle und Sauna!) in idyllischer Lage in dem Örtchen Ljungsbroo, ca. 30 km östlich von Motala gelegen, angekommen wurden die in typisch schwedischen Holzhäusern befindlichen Quartiere bezogen und die Räder von den mitgereisten Spezialisten einem letzten Check unterzogen. Anschließend ging es per Bus nach Montala, dem Start- und Zielort der Vätternrundan, um die Startunterlagen abzuholen und die Stadt samt Sportmesse zu besuchen.
Die Vätternrundan, 1965 durch zwei waghalsige Schweden erstmals absolviert, hat sich inzwischen zu einem aus dem Sportleben Schwedens nicht mehr wegzudenkenden Traditions- und Kultevent gemausert und lockt jährlich im Juni 23.000 fahrradverrückte Teilnehmer an, wobei die begehrten Startplätze stets in wenigen Minuten vergeben sind. Dies war mit Sicherheit erst recht beim diesjährigen 50-jährigen Jubiläum so, denn schon am Donnerstag war das Ereignis mit diversen Radrennen und anderen Veranstaltungen in vollem Gange.
Den Freitag nutzten Gunter und ich für eine Radausfahrt in die herrliche Umgebung unseres Unterkunftsortes. Bergauf und -ab ging es am Ufer eines Sees entlang durch eine regelrechte Bilderbuchlandschaft und unser Urteil war einhellig: schon dieser Ausflug war die Reise wert!
Um 17.00 Uhr gab’s dann in der Unterkunft noch eine Nudelparty und danach den Versuch, vor dem nächtlichen Start noch ein wenig vorzuschlafen.
Um 24.00 Uhr brachte uns der Bus zum Startort der Vätternrundan, die zu diesem Zeitpunkt schon in vollem Gange war, denn die ersten Sportler wurden bereits um 19.30 Uhr auf die 300 km lange Strecke geschickt und von da an hob sich das Startband alle 2 Minuten für ca. 50 Radler.
Unsere Gruppe kam um 01.54 Uhr an die Reihe und erwartungsvoll standen wir nach Gepäckabgabe und Radkontrolle in unserer Startbox, zählten die letzten Sekunden rückwärts und traten beim Startsignal gleich kräftig in die Pedale. Geführt von einem Krad ging es durch die Straßen der Stadt hinaus in die Dunkelheit, wo sich schnell eine Vierergruppe mit Gunter und mir formierte und Tempo aufnahm. Mit stetem Führungswechsel kamen wir flott voran und die ersten Kilometer flogen förmlich an uns vorbei. Schnell wurde es auch hell, damit aber auch recht kalt! Hatten wir am Start noch Temperaturen um 15 Grad, ging jetzt das Thermometer auf 5 Grad zurück! Doch die ersten Sonnenstrahlen und das nahe Jonköpping ließen die kalten Glieder schnell vergessen. Wir hatten uns vorgenommen, erst nach 100 km den ersten Stopp zu machen, obwohl alle ca. 30 km eine Verpflegungsstelle eingerichtet war. Mit einer größeren flotten Gruppe erreichten wir nach etwas mehr als 3 Stunden die südlichste Spitze des Vätternsees in Jonköpping, wo wir unsere Getränkeflaschen nachfüllten und uns mit Pritzkula, einem leckeren Kartoffelbrei mit Preiselbeermarmelade und kleinen Fleischklößchen, stärkten. Leider verloren wir uns dort im Getümmel, so dass ich mit den beiden verbliebenen Weggefährten die Fahrt allein fortsetzte.
Hinter Jonköpping kamen dann auch bald die ersten nicht sonderlich steilen, aber langen Anstiege und es wurde nun doch recht mühsam, zumal nun auch noch die verbliebene Gruppe auseinanderfiel. Glücklicherweise fand ich aber bald Anschluss an eine größere, recht flott fahrende Gruppe, mit der ich bis zum nächsten geplanten Stopp bei km 170 recht zügig vorankam.
Nach einer Stärkung mit Salzgurken, Milchbrötchen und Kaffee wurden noch die Beinlinge abgelegt, ein paar Fotos gemacht und weiter ging‘s in Richtung Norden. Sehr schnell preschte wieder eine Gruppe mit 10 bis 12 Leuten an mir vorbei und da hieß es für mich “nichts wie hinterher und drangeblieben”! Hier fand ich dann zu meiner Überraschung auch den vierten Mann aus unserer ersten Gruppe wieder, der an den Anstiegen hatte abreißen lassen müssen. Gemeinsam kamen wir bei nun herrlichem Sonnenschein und bester Laune voran und genossen die herrliche Umgebung und die flotte Fahrt in jetzt wieder meist flachem Gelände.
Eine weitere kurze Pause am Kilometer 230 trennte uns dann von der Gruppe, aber die dort ausgeschenkte Heidelbeersuppe wollten wir uns nicht entgehen lassen. Damit wären wir wohl gut beraten, denn auf den letzten 70 Kilometern warteten nicht nur wieder einige deftige Anstiege, sondern auch ein giftiger Gegenwind auf uns. Der machte unserer kleinen 4-Mann-Gruppe, die sich nach der letzten Verpflegung zusammengefunden hatte, ganz schön zu schaffen und die Führungsarbeit würde jetzt jedesmal ein richtiger Kraftakt! So zogen sich die letzten 30 km ganz schön in die Länge, aber die bis dahin gefahrene hervorragende Zeit, der Stolz auf die bereits absolvierten Kilometer und die Freude auf das nahende Ziel verliehen mir förmlich Flügel. Da ich immer noch gute Beine und auch sonst keinerlei Beschwerden hatte, hing ich mich noch in eine “Speedgruppe” rein, die mit hohem Tempo vorbei gedonnert kam. Gemeinsam ging es wie im Expresszug in Richtung Ziel, wo uns entlang der Zielgeraden auf der Seepromenade ein begeistertes Publikum empfing. Im Ziel gab es dann eine Medaille und eine Urkunde mit allen Zwischenzeiten.
Hier traf ich auch Gunter wieder, der ab km 100 den ganzen “Rest” der Strecke ohne weiteren Stopp “durchgebrettert” war. Stolz gratulierten wir uns zu unseren Ergebnissen. War das grobe Ziel ein Ankommen unter 12 Stunden gewesen, hatten wir doch beide mit der magischen Grenze “unter 10 Stunden” geliebäugelt. Nun standen für Gunter 8.47 Stunden und für mich 9.24 Stunden (jeweils Bruttozeit incl. Pausen) im Ergebnisprotokoll!
Das schönste aber war, dass es uns (wohl auch dank der vielen Trainingskilometer und -mühen) im Gegensatz zu vielen völlig fertig ankommenden Radlern auch jetzt noch wirklich gut ging.
Dennoch ließen wir uns noch bei der Massage durchkneten, bevor es nach einer Stärkung zurück in die Unterkunft ging, wo wir uns bei der abendlichen Grillparty auch das eine oder andere Bier schmecken ließen.
Am nächsten Morgen nutzte ich die bis zur Abfahrt verbleibende Zeit für einige Bahnen in der Schwimmhalle, bevor es nach dem Verladen von Gepäck und Rädern wieder per Bus in Richtung Süden gen Heimat ging. Bis zum Auslaufen der Fähre blieb im nahen Malmö noch Zeit für einen ausführlichen Stadtbummel, bei dem Gunter und ich noch Zuschauer einer ganz hervorragenden Darbietung eines tollen Pantomimeensembles an den Ufern des Stadtkanals wurden.
Nach einem weiteren Schlaf-Harakiri auf der Fähre und der Rückfahrt nach Berlin ging für uns ein sehr gut organisiertes Sportabenteuer zu Ende, das wir wohl beide nicht vergessen werden!
Noch ein Tipp für Interessierte: Da Startplätze normal kaum zu bekommen sind, am besten über Schulz-Sportreisen, aber auch hier bis spätestens August/September versuchen. Hier gibt es ein “Rundum-Sorglos-Paket”, das leider nicht ganz billig ist. Aber evtl. kann man ja auch eine individuelle Anreise vereinbaren, was noch die Möglichkeit einer Vorab- oder Nachher-Verlängerung bieten könnte, was das Verhältnis von Aufwand (lange Reisedauer) und Erlebniswert sicher weiter verbessern würde.
Auf alle Fälle kann man die Vätternsee-Rundfahrt allen Radsport- und Naturbegeisterten nur empfehlen, eine gute Vorbereitung vorausgesetzt.